zur StartseiteForschungRechercheKursePerson
Stephanie Köser
Vorwort der online-Version

Der Vortrag lag ursprünglich als Powerpoint-Folien vor. An dieser Stelle sollen die Stichworte nur grob ausformuliert werden.
Da sich der Vortrag nicht nur an Phonetiker, sondern auch und vor allem an phonetische Laien richtete, war ich darum bemüht, möglichst einfache Umschreibungen zu finden und Fachtermini wo möglich zu umgehen. Eine tiefschürfende Erörterung des Themas "Glottalisierung von Plosiven" sollte man also hier nicht erwarten.
Trotzdem lade ich jeden ein, einen kleinen Blick darauf zu riskieren, was wir so alles produzieren, wenn wir sprechen - und zu sehen, dass wir dabei sogar noch von unserem Gegenüber verstanden werden.

Die Magisterarbeit ist seit 2005 in den Arbeitsberichten des Instituts für Phonetik an der Universität des Saarlandes (PHONUS) veröffentlicht (etwas gekürzt). Sie kann als pdf-Dokument hier online angesehen bzw. heruntergeladen werden.

Das Literaturverzeichnis aus der Arbeit ist hier zu finden.

[ zum Seitenanfang ]

Was ist ein alveolarer Plosiv?

Die Zungenspitze bildet einen Verschluss mit dem Zahndamm. Dabei ist der Luftstrom im Mundraum unterbrochen. Darüber hinaus ist der Nasenraum abgeschlossen (Verschluss der velopharyngalen Pforte). Dies führt zu einer "hörbaren" Stille.
Bei dem stimmhaften /d/ schwingen die Stimmlippen regelmäßig, bei dem stimmlosen /t/ ist die Stimmritze (=Glottis) weit geöffnet, so dass sehr viel Luft in den Mundraum strömen kann.
Nach der Lösung des Verschlusses entsteht ein deutlich hörbares Geräusch - v.a. bei den stimmlosen Plosiven, bei denen sich sehr viel Luft hinter dem Verschluss angestaut hat.
Wörter mit einem alveolaren Plosiv sind: Tag, Foto, Rede, ...

Ein stimmhaftes /d/ sähe z.B. so aus:
Der grüne Pfeil weist auf das Gaumensegel, das für einen Plosiv gehoben sein muss, um eine Trennung zwischen Mund- und Nasenraum zu erreichen. Der blaue Pfeil weist auf die Stelle des Verschlusses, nämlich den Zahndamm. Der rote Pfeil zeigt an, dass es sich hierbei um einen stimmhaften Laut handelt, bei dem die Stimmlippen regelmäßig schwingen.

Diese und die nachfolgenden Abbildungen zur Artikulation einzelner Laute sind aus Potter, Kopp & Kopp (1966): "Visible Speech." entnommen und mit Pfeilen versehen worden.

[ zum Seitenanfang ]

Was bedeutet Glottalisierung?

Bei der sog. Glottalisierung werden die Stimmlippen fest zusammengepresst; entweder so fest, dass die Stimmritze vollkommen geschlossen ist (dabei spricht man von einem Glottalverschluss) oder nur so fest, dass noch unregelmäßige Schwingungen der Stimmlippen - mit geringer Schwingungsamplitude - möglich sind (dabei spricht man von Laryngalisierung). Letzteres klingt knarrig und tief.
Dadurch wird die gerade beschriebene Artikulation am Kehlkopf ersetzt oder verstärkt.
Glottalverschluss und Laryngalisierung werden hier als unterschiedliche Grade desselben Phänomens gesehen. (Sie haben also dieselbe Funktion.)
Anmerkung: Ich verwende also den Begriff "Glottalisierung" als Oberbegriff für Glottalverschluss und Laryngalisierung. Oft wird er als synonym mit Laryngalisierung verwendet.

[ zum Seitenanfang ]

Stimuli

In der Auswahl der Wörter, die ich untersucht habe, (= Stimuli) habe ich mich nach den Ergebnissen der Untersuchungen von Professor K.J. Kohler in Kiel gerichtet. V.a. bei alveolaren Plosiven und v.a. bei Plosiven zwischen Sonoranten fand er Glottalisierung.
Zu den Sonoranten zählen u.a. Nasale wie /n/ oder /m/ und der Lateral /l/.
Die Struktur der Stimuli sah also wie folgt aus: Nasal/Lateral + /t, d/ + Schwa + Nasal/Lateral
(Um es möglichst einfach zu definieren: Das Schwa ist der Murmellaut, der auch als Neutralvokal bezeichnet wird, dem unser "eeeh" beim Überlegen ähnelt.)
Anmerkung: Ich ging davon aus, dass das Schwa in den meisten Fällen elidiert, also gelöscht würde, wie es in gesprochener Sprache üblich ist. In einigen Artikeln von K.J. Kohler wird allerdings eine erstaunlich hohe Zahl an Schwa-Realisierungen genannt.
Die Stimuli waren Zwei- oder Dreisilbler, möglichst Minimalpaare, die sich nur in der phonologischen Stimmhaftigkeit des Plosivs ( also /t/ vs. /d/) unterschieden. Sie wurden in einen für diese Untersuchung konstruierten Text eingebunden.

Liste der Stimuli:

ahnten - ahnden
Finten - finden
sonnten - Sonden
verbannten - verbanden
Gemeinten - Gemeinden
Hanteln - Handel
halten - Halden
hellten -Helden
sollte - Dolden
Mantel - Mandel
hemmten - Hemden

[ zum Seitenanfang ]

Ein Beispiel-Wort

Glottalisierung ist allerdings nicht die einzige mögliche Realisierungsform eines alveolaren Plosivs. Deshalb kann man sich im folgenden einige Realisierungen des Wortes ahnten anhören (mp3-Format).
Der Kontext, in dem das Wort vorkommt, lautet: "Wir ahnten es schon lange und halten es für vollkommen verdient".

[ zum Seitenanfang ]

Welche Realisierungen kann man also finden/habe ich gefunden?
  • kanonische Realisierung: alle Laute werden gesprochen, auch das Schwa.
  • Realisierung des Plosivs, aber Schwa-Elision (orthografisch wiedergegeben: ahntn)

    In den meisten Fällen, in denen in meinen Daten ein /t/ zu finden war, war das Schwa elidiert. In dem dargebotenen Beispiel entwich die angestaute Luft durch die Nase, da nicht der Verschluss hinter den Zähnen, sondern der Verschluss des Nasenraums aufgehoben wurde.

  • Glottalisierung:

    Glottalverschluss (= Stimmlippen fest zusammengepresst)

    Laryngalisierung (= unregelmäßige Stimmlippenschwingungen)

  • Stimmlose oder behauchte Sonoranten

    Bei stimmlosen Nasalen ist die Stimmritze weit offen (die Stimmlippen also weit voneinander entfernt) - wie z.B. für ein /t/ -, die sog. velopharyngale Pforte ist aber offen, so dass die Luft durch die Nase entweichen kann.

    Bei stimmlosem Lateral ist der Nasenraum ebenfalls abgeschlossen; die Luft kann aber an den Zungenrändern vorbei den Mundraum verlassen.

    Behauchte Nasale oder Laterale unterscheiden sich davon, indem die Stimmritze nicht ganz so weit geöffnet ist, so dass die Stimmlippen noch leicht schwingen können, aber nicht mehr über die ganze Länge der Stimmlippen und nur sehr schwach.

    Anmerkung: Folgende Abbildung zeigt die Artikulation von /n/ und /l/:

  • Verschluss-Elision

    Unter Verschluss-Elision ist ein Verlust des Plosivs bei gleichzeitigem Fehlen jeglicher Ersatzartikulation oder Reduktion zu verstehen.
    Von dem Plosiv ist also nichts mehr zu hören.

  • [ zum Seitenanfang ]

    Warum andere Realisierungen?
    Die meisten der Alternativrealisierungen sind ökonomischer. D.h. mit weniger artikulatorischem Aufwand kann ein vergleichbares perzeptorisches Ziel erreicht werden. Anders ausgedrückt: Wir hören trotzdem das richtige Wort, obwohl der Sprecher etwas produziert hat, was für ihn einfacher war - weil wir beim Sprechen eben grundsätzlich ein wenig faul sind :-)
    Das perzeptorische Ziel ist v.a. die Stille, die durch die Unterbrechung des Luftstroms erreicht wird. Um allerdings auch die stimmlosen und behauchten Sonoranten auf diese Weise rechtfertigen zu können, möchte ich das Ziel etwas weiter fassen und sagen: Es soll eine Unterbrechung der stimmhaften Nasalität (bei internasalem Plosiv) bzw. Sonorität erreicht werden. Dies ist dann auch mit stimmlosen Sonoranten möglich.
    Warum könnte eine der oben genannten Ersatz- oder Reduktionsgesten angestrebt werden?
    Die Bildung eines Plosivs zwischen/nach/vor Nasalen erfordert den Abschluss des Nasenraums vom Mundraum (also das Schließen der sog. Velopharyngalen Pforte). Das dafür benötigte Velum gilt aber als träge. Die Anhebung des Velums für das /d/ und das anschließende Senken habe ich hier mit einem grünen Pfeil angedeutet.
    Evtl. kommt hierzu  noch die Koordination dieser Aktivität mit der Artikulation im Mundraum - wie bei /mdn/: Hier kommt zu der velaren Geste (mit grünem Pfeil angedeutet) noch die Änderung der Verschlussstelle (hier mit blauem Pfeil angedeutet).

    Zudem kann es sein, dass Veränderungen an der Glottis notwendig werden - wie in /mtn/: Hier werden die regelmäßigen Stimmlippenschwingungen für den stimmlosen Plosiv unterbrochen (mit roten Pfeilen angedeutet). Bei schlechter Synchronisierung käme es zu einer kurzen Phase teilentstimmten Nasals oder zu einem epenthetischen stimmhaften Plosiv (was heißt: Zwischen dem /n/ und dem /t/ gäbe es noch eine kurze Phase /d/.).

    [ zum Seitenanfang ]

    Meine Untersuchung
    Im folgenden werde ich also kurz auf die Untersuchungsmethode und Probandenwahl, meine Untersuchungsfragen und die Ergebnisse eingehen.

    Methode

    Es wurden 8 norddeutsche Sprecher (4 Männer, 4 Frauen) und 7 süddeutsche Sprecher (4 Männer, 3 Frauen) untersucht. Aufgabe der Probanden (Pb) war das Vorlesen eines kurzen - konstruierten -  Textes. Jeder Pb hat den Text fünfmal gelesen. 
    Aufgenommen wurde das akustische Signal mit Hilfe eines Mikrofons und das Stimmlippen-Verhalten mit Hilfe eines Elektrolaryngographen/ Elektroglottographen (EGG). Ein EGG besteht aus zwei Elektroden (manchmal auch noch einer dritten Referenzelektrode), die rechts und links am Kehlkopf angelegt werden. Es ist eine nichtinvasive Methode, bei der von einer Elektrode ein leichter Strom ausgesendet wird, der von der anderen gemessen wird.  Je nachdem, wie groß die Impedanz zwischen den Elektroden ist, ist das mehr oder weniger. Gemessen wird also, wie nah die Stimmlippen zusammen sind.
    Wer mehr über diese Methode wissen möchte - oder Abbildungen von diesem Gerät sehen möchte - sei auf die Seite von K. Marasek in Stuttgart verwiesen: http://www.ims.uni-stuttgart.de/phonetik/EGG/frmst2.htm 
    Einige Pbn und weitere 52 Personen haben darüber hinaus einen Fragebogen zu der Frage, wie geläufig ihnen die untersuchten Wörter waren, ausgefüllt.

    Untersuchungsfragen

    Um die insgesamt 16 Hypothesen (= Untersuchungsfragen) zusammenzufassen: Es wurde geprüft, wie oft welche Realisierungen auftraten. 
    Dabei wurde ein Vergleich von Wörtern mit unterschiedlichem segmentalem Kontext und von Wörtern mit unterschiedlicher phonologischer Stimmhaftigkeit des Plosivs ebenso vorgenommen wie der Vergleich von männlichen und weiblichen Sprechern bzw. norddt. und süddt. Sprechern. Es wurde also geprüft, ob die Realisierungspräferenzen anders waren, wenn ein /m/, /n/ oder /l/ neben dem Plosiv standen ('hemmten' - 'ahnten' - 'Hanteln'), oder wenn ein Wort ein /t/ enthielt (wie 'ahnten') bzw. ein /d/ (wie in 'ahnden'). Außerdem war ich daran interessiert, ob Männer und Frauen bzw. Norddeutsche und Süddeutsche auf dieselbe Weise das /t/ oder /d/ realisieren. Letzteres interessierte mich v.a. deshalb, weil K.J. Kohler, der die meisten Untersuchungen zur Glottalisierung im Deutschen unternommen hat, nur norddt. Sprecher aus dem Raum um Kiel untersucht hat.

    [ zum Seitenanfang ]

    Ein paar Ergebnisse meiner Untersuchung

    In der zweiten Hälfte meines Vortrags habe ich schnell ein paar Aspekte meiner Untersuchung vorgestellt. Aus Zeitgründen konnte ich keine genaue Details meiner Ergebnisse darlegen. In der Besprechung der Ergebnisse gehe ich mehr oder weniger deskriptiv-statistisch vor. D.h., ich werde Sie von statistischen Tests und Signifikanzen verschonen. Wer gerne mehr wissen möchte, kann mich aber jederzeit anschreiben.

    Abbildung 1: Verteilung der Realisierungen über alle Sprecher und alle Kontexte gemittelt

    An der obigen Abbildung kann man sehen, dass sehr selten alle Laute gesprochen wurden ('kanonisch'), der Plosiv aber doch zumindest in ca. 25% der Fälle erhalten geblieben ist. Glottalisierung, der mein Hauptinteresse galt, konnte immerhin in 25% der Fälle gefunden werden, v.a. die schwächere Form der Laryngalisierung. Aber noch häufiger traten behauchte und v.a. stimmlose Sonoranten (die bei K.J. Kohler am Rande erwähnt wurden) auf.

    Abbildung 2: Realisierungen in Wörtern wie 'hemmten' oder 'finden'

    Von Glottalisierung und behauchten/stimmlosen Sonoranten waren primär Wörter mit Plosiv zwischen Nasalen betroffen - also Wörter wie 'finden', 'hemmten' oder 'verbanden'. In diesen Stimuli wurde der Plosiv kaum produziert.

    Abbildung 3: Realisierungen in Wörtern wie 'Handel' oder 'halten'

    Hier kann man erkennen, dass in Wörtern wie 'halten' oder  'Handel', bei denen vor oder nach dem Plosiv ein /l/ vorkommt, das /t/ oder /d/ sehr häufig gesprochen wurde. Eine vollständige Elision trat ebenfalls häufiger auf. Glottalisierung und behauchte/stimmlose Sonoranten spielen hier dagegen kaum eine Rolle.

    Abbildung 4: Realisierungen norddt. Sprecher

    Kommen wir noch einmal zurück zu dem erstaunlich großen Anteil an behauchten und stimmlosen Sonoranten, den ich gefunden habe. Denn in den Daten von K.J. Kohler konnten recht häufig Glottalisierungen von Plosiven gefunden werden, aber eher selten behauchte/stimmlose Nasale oder Laterale - bei seinen norddt. Sprechern! Deshalb hier einmal die Verteilung über die einzelnen Realisierungen bei meinen norddt. Probanden. Auch hier werden in etwas mehr als 25% der Fälle die Plosive durch einen Glottalverschluss oder Laryngalisierungen ersetzt. Stimmlose oder behauchte Sonoranten treten seltener auf.

    Abbildung 5: Realisierungen süddt. Sprecher

    Ein Blick auf die Realisierungen meiner süddt. Probanden lässt allerdings ein etwas anderes Bild entstehen: Hier bilden stimmlose Sonoranten ca. 50% der Realisierungen. Die Zahl der behauchten Sonoranten ist mit der bei den norddt. Pbn vergleichbar.Glottalisierung ist etwas seltener als bei den norddt. Sprechern (allerdings nur geringfügig). Die hohe Anzahl an Glottalisierungen ist jedoch lediglich auf das sehr konsequente Glottalisieren von zwei Sprechern zurückzuführen (während sieben der acht norddt. Pbn glottalisierten). 

    [ zum Seitenanfang ]

    Zusammenfassung der Ergebnisse

    Glottalisierung alveolarer Plosive ist also zu  finden - hier mehr bei norddt. Sprechern als bei süddt; bei Frauen wie bei Männern.
    Sowohl Glottalisierung als auch behauchte/stimmlose Sonoranten treten v.a. zwischen Nasalen auf, selten vor oder nach einem /l/.
    Die Männer bildeten mehr behauchte und stimmlose Sonoranten als die Frauen; die Frauen glottalisierten im Durchschnitt mehr als die Männer. Frauen glottalisierten Wörter mit /t/ wie mit /d/ (also 'ahnten' und 'ahnden'), Männer häufig nur Wörter mit /t/. Aber Achtung: Wenn Frauen glottalisierten, taten sie dies zwar konsequenter als die Männer. Es waren aber nicht mehr Frauen als Männer, die glottalisierten.
    An dieser Stelle sei deshalb noch einmal die Gelegenheit genutz, auf ein großes Problem der geringen Versuchspersonenzahl hinzuweisen: Bei nur 15 Pbn hat die Form der Realisierung eines einzelnen Pb schon großen Einfluss auf das Gesamtergebnis. Deshalb ist es ab und zu auch sinnvoll, einen Blick auf die Probanden-Ebene zu werfen.

    [ zum Seitenanfang ]

    Fazit?
    Die Formen der Realisierung von alveolaren Plosiven zwischen Sonoranten sind sehr komplex - und die Frage, unter welchen Bedingungen welche Realisierung gewählt wrid, ist noch viel komplexer. Denn hier wurde nur der Einfluss von Geschlecht oder Herkunft des Sprechers, phonologische Stimmhaftigkeit und segmenteller Kontext des Plosivs angesprochen. Ein Blick auf die Worthäufigkeit (= Geläufigkeit der Wörter) und die morphosyntaktische Form der untersuchten Wörter (Ist es ein Verb oder ein Substantiv?) ergbab kein eindeutiges Bild. Darüber hinaus sind aber noch viele andere Einflussfaktoren denkbar. 
    Mit der folgenden Abbildung habe ich diesen Sachverhalt in meiner Magisterarbeit zu verdeutlichen versucht:

    [ zum Seitenanfang ]

    letzte Änderung: 01.10.2016